Selbstverständlich kann jeder Gestalter seine Profession nach den eigenen Vorstellungen auslegen. Er kann sich dem traditionellen Handwerk zugetan fühlen, der Werbung, dem Webdesign oder einer der anderen Unterteilungen, die die Gestalterkultur im Laufe ihrer Geschichte hervorgebracht hat. Und natürlich ist es möglich innerhalb der jeweiligen Auslegung innovativ zu arbeiten.
Trotz persönlicher Präferenzen ist die Gestaltung im Begriff, sich für neue gestaltbare Bereiche zu öffnen. In dieser Entwicklung scheinen sich Tendenzen abzuzeichnen, die es der Gestaltung möglich machen, sich von konventionellen Medienformaten zu lösen. Tragischerweise haben die konservativen Gestalter die vergangenen Jahre intensivst dazu genutzt, den Gestaltungsbegriff in der verzweifelten Suche nach einer Selbstdefinition so eng zu fassen, dass die kommenden Anforderungen an den Berufsstand kaum zu integrieren sind. Mir scheint, dass sich konservative Gestalter aktuell in ihren operativen Indifferenzbereich, ins ökonomisch Ertragbare, ins Normative sowie in ihre gewohnten Formate flüchten, die jedoch selten die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung reflektieren. Beleuchtet man dagegen das Selbstverständnis der Gestalter als innovative und treibende Kraft dieser Gesellschaft, als Problemversteher und -löser, kommt man nicht umhin, ihnen Mutwilligkeit, Ignoranz, Fahrlässigkeit, zumindest aber Weltvergessenheit vorzuwerfen. Wenn Gestalter ihren Welt- und Wirklichkeitsbezug nicht verlieren wollen, sollten sie ihre Positionen neu bestimmen und lernen Verantwortung zu übernehmen. Diese Positionsbestimmung geschieht in einer neuartigen ökologischen Ordnung, wobei »Ökologie heißt, dass man es mit Nachbarschaftsverhältnissen zwischen heterogenen Ordnungen zu tun bekommt, denen es an jedem prästabilen Zusammenhang, an jeder übergreifenden Ordnung, an jedem Gesamtsinn fehlt.«1 Das heißt dementsprechend, »in einer solchen Ökologie kann Form nur noch als etwas gedacht werden, was in der Lage ist, rekursive Selbstreferenz mit dem Wissen um die Intransparenz der Verhältnisse zu kombinieren.«2
Beschreibung des Phänomens
mittels Problemverortung
Dieser Erkenntnis zum Trotz ist ein grundsätzliches Unbehagen gegenüber einer Öffnung des Gestaltungsbegriffes seitens der Gestalterzunft deutlich spürbar. Die Vorbehalte gegenüber der nächsten Form von ökologischem Zusammenwirken und der damit verbundenen Unschärfe sind demnach überaus groß. Es besteht ein hoher Vermittlungsbedarf zwischen Theorie und Forschung auf der einen Seite und Praxis auf der anderen. Diese Vermittlung hat selbstverständlich nicht zum Ziel, Gestaltern eine Denkweise aufzunötigen. Hinsichtlich nächster kommunikativer Herausforderungen geht es vielmehr darum, eine Orientierungshilfe bereit zu stellen, die eine Verortung des eigenen Schaffens in einen gestalterischen Gesamtzusammenhang ermöglicht. Die Muschenich-Matrix soll einen ersten Überblick verschaffen über die unscharfen Verhältnisse, auf die wir uns zubewegen. Man könnte auch sagen, dass die Phänomene der aktuellen und nächsten Gesellschaft in mundgerechte Stücke zerkleinert werden, um so die Wahrscheinlichkeit einer kommunikativen Anknüpfung erhöhen.
Auf der anderen Seite bietet die Skala die Möglichkeit das Verhältnis der Gestalterzunft in Bezug auf Unschärfe zu untersuchen. Ab welchem Unschärfegrad wird die Ungeheuerlichkeit so groß, dass eine angemessene Auseinandersetzung gescheut wird? Wo beginnt und wo endet das Gestaltbare? Was haben Gestalter diesen Herausforderungen der »nächsten Gesellschaft« zu entgegnen? Über diese Fragestellungen kann das gestalterische Arbeitsspektrum hinsichtlich ihres sozialen Engagements beleuchtet werden und das jeweilige Selbstverständnis mit dem potentiell Möglichen ins Verhältnis gesetzt werden. Vielleicht ist es so möglich, Gestaltern langfristig aus der selbstkonstruierten Zwangslage als Sklaven ihrer abgearbeiteten Formate zu befreien.